Klimaschutz beginnt beim Shampoo
In Nkhoma in Malawi gab es vor vier Jahren kaum Bäume. Dann besuchte Tony Rinaudo das Projektgebiet und zeigte den Kleinbauern, wie die Methode FMNR funktioniert. Heute profitieren unzählige Familien von einem neuen Waldgebiet. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller hat das World Vision-Projekt im Januar besucht. Im Interview sprechen wir mit ihm über Klimaschutz, FMNR und seine Erlebnisse in Malawi.
Herr Minister, was tun Sie in Ihrem Alltag persönlich dafür, um das Klima zu schützen?
Ich achte auf nachhaltige Produkte. Das beginnt morgens beim Haarewaschen. Fast jedes Shampoo enthält Palmöl aus Indonesien. Um Plantagen anzulegen, brennen die Regenwälder. Und beim ersten Schluck Kaffee sollte man wissen, ob dafür der Regenwald abgeholzt wurde. Sowohl im Ministerium als auch Zuhause kaufe ich nur fairen Kaffee.
Sie haben Tony Rinaudo kennengelernt und als Sohn eines Landwirts persönliche Erfahrung in diesem Bereich – wie bewerten Sie die Wiederbegrünungsmethode FMNR?
Ich finde die Aufforstungsmethode von Tony Rinaudo faszinierend. Sie kostet wenig und ist einfach umzusetzen. Das habe ich mir in Malawi in Nkhoma selbst angeschaut. Tony Rinaudo hat völlig zu Recht dafür den „Alternativen Nobelpreis“ bekommen. Damit diese tolle Methode in weiteren afrikanischen Ländern verbreitet werden kann, unterstützen wir Organisationen wie World Vision mit dem Vorhaben „Regreening Africa“. Bis zum Jahr 2023 investieren wir dafür allein 23 Millionen Euro.
Was ist das Wichtigste, das wir in Deutschland tun können, um das Klima zu schützen?
Der Klimaschutz ist die Überlebensfrage der Menschheit. Die Zukunft unseres Klimas entscheidet sich dabei maßgeblich in China, Indien und Afrika: Die Bevölkerung Afrikas und Indiens wird in den nächsten 30 Jahren auf vier Milliarden Menschen anwachsen. Hunderte Millionen Afrikaner haben aber bislang noch gar keinen Strom. Wenn zukünftig jeder Haushalt einen Stromanschluss auf der Basis von Kohle bekommt, müssten 1.000 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Das hält unser Planet nicht aus. Anstatt mit Kohle müssen die Entwicklungsländer ihren Energiehunger mit erneuerbaren Energien stillen. Um das zu schaffen, brauchen wir neue Impulse. Deswegen habe ich letztes Jahr auf der Klimakonferenz in Kattowitz die „Allianz für Entwicklung und Klima“ gestartet. Bereits 200 Firmen und Verbände, wie SAP und Bosch, machen mit. Sie streben an, klimaneutral zu werden, indem sie Emissionen vermeiden und reduzieren. Die verbleibenden CO2-Emissionen werden durch Investitionen in erneuerbare Energien in Entwicklungsländern und den Schutz oder die Aufforstung der Regenwälder ausgeglichen. Ich lade jeden ein, sich dieser Allianz anzuschließen.
Welche Auswirkungen hat nach Ihrer Einschätzung der Klimawandel auf die globalen Fluchtbewegungen?
Einen großen. Wir in Deutschland hatten letztes Jahr einen heißen Sommer. An der äthiopisch-somalischen Grenze traf ich Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, weil es drei Jahre lang nicht geregnet hat. 20 Millionen Menschen mussten bereits aus Hitze- und Dürreregionen fliehen, weil sie ihre Lebensgrundlage verloren haben. In den nächsten 20 Jahren könnten es nach Expertenschätzungen bis zu 100 Millionen werden. Die ärmsten Länder leisten hier viel. In vielen Debatten wird ausgeblendet, dass fast 90 Prozent aller weltweiten Flüchtlinge Zuflucht in Entwicklungsländern oder ihren unmittelbaren Nachbarländern finden. Deswegen wird die Arbeit humanitärer Hilfsorganisationen wie World Vision auch künftig so wichtig bleiben.
World Vision hat sich besonders den Kindern verschrieben, die in fragilen Regionen aufwachsen. Welche Möglichkeiten bestehen für die Bundesrepublik, diesen Kindern eine sichere und gesunde Zukunft zu ermöglichen?
Das ist eine unglaublich wichtige Aufgabe. Jedes vierte Kind lebt in einem Land, das von Konflikten, Flucht und Vertreibung betroffen ist. In dem es Armut und Hunger gibt. Kinder sind dem besonders schutzlos ausgeliefert. Deswegen habe ich unsere Programme für Ernährungssicherung und medizinischer Grundversorgung massiv ausgebaut. Das fängt bei der Versorgung der Mütter und ihrer Kinder mit einer guten medizinischen Versorgung an. Genauso wichtig sind vielfältige Nahrungsmittel und sauberes Trinkwasser. Wir müssen den Kindern aber vor allem eine Zukunftsperspektive geben. Bildung ist der Schlüssel für Entwicklung. Deswegen werde ich künftig 25 Prozent unserer gesamten Entwicklungsmittel für Schulbildung und Ausbildung einsetzen. Ein Beispiel: Mit unserer Unterstützung konnten bereits 5 Millionen syrische Kinder trotz Krieg zur Schule gehen. Und über 300.000 syrische Flüchtlingskinder konnten wir mit psychosozialer Hilfe dabei unterstützen, ihre traumatischen Kriegs- und Fluchterfahrungen zu verarbeiten.
Der „Schutz von Lieferketten“ ist einer Ihrer Schwerpunkte und berührt damit auch den Schutz von Kindern vor Ausbeutung. Wie können substanzielle Erfolge gegen die Kinderarbeit erreicht werden?
Es ist doch unglaublich, dass im Jahr 2019 immer noch 150 Millionen Kinder, zum Teil unter schlimmsten ausbeuterischen Verhältnissen, in den Minen und auf den Plantagen arbeiten müssen. Das ist fast jedes zehnte Kind! Diese ausbeuterische Kinderarbeit muss gestoppt werden. Auch am Anfang globaler Lieferketten müssen Mindeststandards eingehalten werden, die in Europa schon lange selbstverständlich sind. In Westafrika arbeiten zum Beispiel 2,3 Millionen Kinder auf Kakao- und Kaffeeplantagen. Ein Kilo Kaffee in Deutschland kostet zehn bis zwölf Euro. Nur 50 Cent kommen davon bei den Bauern an. Davon können die Familien auf den Plantagen doch nicht leben. Deshalb müssen die Kinder mitarbeiten. Wir können das aber ändern, wenn wir existenzsichernde Preise für unseren Kaffee bezahlen. Ich glaube, immer mehr Verbraucher verstehen das und sind auch bereit, etwas mehr zu zahlen. Aber auch die Unternehmen stehen in der Verantwortung. Jedes Unternehmen kann und muss seine Lieferkette so gestalten, dass Kinderarbeit ausgeschlossen ist. Mit dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte müssen Unternehmen jetzt detailliert darlegen, wie sie solche Menschenrechtsstandards in ihren Lieferketten einhalten. Das werden wir im nächsten Jahr genau überprüfen. Ich lasse es nicht länger gelten, dass Unternehmen sagen, wir können Kinderarbeit in unseren Produktionsstätten nicht ausschließen. Das ist längst möglich.
„Eine Welt ohne Hunger“ ist Ihre gemeinsame Initiative zusammen mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kirchen. Wo stehen wir im Moment?
Die Herausforderungen sind groß: Die Zahl der Hungernden steigt wieder, zuletzt auf 821 Millionen. Rund zwei Milliarden Menschen sind mangelernährt. Das dramatische Bevölkerungswachstum vor allem in Afrika und die Folgen des Klimawandels verschärfen die Situation noch weiter. Aber wir können das schaffen, eine Welt ohne Hunger ist möglich. Deswegen sage ich auch: Hunger ist Mord, wenn die Weltgemeinschaft nur zuschaut. Die Erde hat das Potenzial und wir haben das Wissen und die Technologie alle Menschen auf der Welt satt zu machen. Dazu brauchen wir eine landwirtschaftliche Revolution von unten. Deshalb habe ich vor 5 Jahren unsere Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ ins Leben gerufen. Unsere Partner tragen mit ihrem einzigartigen Know-how maßgeblich zum Erfolg bei. Mit den 15 grünen Innovationszentren in Afrika und Indien fördern wir beispielsweise neue Produktionsmethoden. Mit neuen – klassisch gezüchteten – Reissorten können wir die Erträge so mehr als verdoppeln. Wichtig ist auch die Eigentumsfrage. Die Bauern brauchen Land und Boden, damit sie Kooperativen bilden können. Wir setzen uns daher auch für die Landrechte von Kleinbauern ein.
Zum Schluss noch einmal zurück zu unserer Wiederbegrünungsmethode. Was haben Sie für sich persönlich vom Projektbesuch in Malawi mitgenommen?
Das Land und die Menschen haben mich sehr beeindruckt. Malawi ist das viertärmste Land der Welt, aber die Regierung ist sehr bemüht und unterstützt beispielsweise die Frauen mit einer aktiven Familienpolitik und kostenloser Mutter-Kind-Gesundheitsversorgung. Staatspräsident Peter Mutharika habe ich daher unsere verstärkte Unterstützung bei Grundbildung, Gesundheit und Landwirtschaft zugesagt.