Nach Flucht, Angst und Gewalt
Wenn Rahana aus Nigeria ihre Erfahrungen mit Terror und Krieg erzählt, schwingen starke Gefühle mit. Die Mutter von sieben Kindern spricht über einen Teil ihres Lebens, den sie am liebsten auslöschen würde. “Auf der Flucht vor Boko Haram nach Niger haben meine Kinder und ich fast ein Jahr lang eine sehr schwere Zeit durchgemacht”, sagt sie.
Rahana lebte mit ihrer Familie in Damasak, einer Stadt im Nordosten Nigerias nahe der Grenze zum Niger. Sie erinnert sich noch genau an den Angriff durch Boko Haram: “Es war ein Montag, gegen neun Uhr. Ein Tag, den meine Familie und ich nie vergessen werden. Mein Mann war unterwegs."
Ich war zu Hause gerade fertig mit dem Haushalt. Dann hörte ich plötzlich Schüsse und danach Schreie.
Sie erzählt: "Bevor ich überhaupt verstanden hatte, was passiert war, sah ich viele Kinder aus der Nachbarschaft wegrennen. Zwei meiner Kinder waren in der Schule. Meine erste Sorge war, sie zu finden und ich bin zur Schule gelaufen. Gemeinsam sind wir nach Hause und haben uns eingesperrt. So blieben wir fünf Tage lang und lebten von den restlichen Lebensmitteln und dem bisschen Wasser, das uns zur Verfügung stand, bis wir nichts mehr zu essen und zu trinken hatten. Ich musste das Haus verlassen und etwas zu essen für meine Kinder finden. So liefen wir den Mitgliedern der Boko Haram über den Weg. Ich hatte viel über die Terrorgruppe gehört und war mir sicher: Wir werden alle sterben.”
Das Leben als Gefangene war schwierig für Rahana und ihre Kinder. “Gemeinsam mit anderen Familien waren wir in einem großen Haus eingesperrt. Es war nicht leicht für uns, besonders für meine älteste Tochter Hindatou, die zu der Zeit neun Jahre alt war. Es verging kein Tag, an dem sie sich nicht an meiner Schulter ausweinte”, sagt Rahana. Nach einigen Wochen entschieden die Bewacher, dass die verheirateten Frauen gehen und ihre Männer holen sollten. Um sicher zu gehen, dass die in Freiheit entlassenen Frauen zurückkehren würden, behielten sie von jeder Mutter jeweils ein Kind. In Rahanas Familie traf es Hindatou, die in Gefangenschaft zurückbleiben musste.
Rahana machte sich auf die Suche nach ihrem Mann. Doch sie war krank und ging bald zu ihrem Haus, um sich auszuruhen. Zu ihrer Überraschung fand sie dort ihre Tochter Hindatou, der es gelungen war, wegzulaufen. Rahana traf sich mit einer Frau, die ihr und ihren Kindern half, in den Niger zu kommen. Hier fand sie auch ihren Mann wieder, der ebenfalls auf der Suche nach seiner Familie war. Auf Umwegen kam die Familie schließlich nach Sayam Forage, ein Flüchtlingslager etwa 45 Kilometer von der nigerianischen Grenze entfernt.
Für Rahanas Familie war es schwer, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden, vor allem für ihre Älteste. “Jede Nacht hatte Hindatou Albträume. Sie erlebte die furchtbaren Ereignisse während des Überfalls wieder und sah immer wieder die Bilder der Toten und der Folterungen”, sagt Rahana. Sie erzählt von ihrem Mann, einem islamischen Geistlichen, der den ganzen Tag dafür betete, dass seine Tochter wieder zu einem normalen Leben zurückfinden würde. Rahana ist überzeugt, dass Hindatou auch durch das World Vision Kinderschutz-Zentrum heute wieder Freude am Leben hat.
Seit November 2015 ist World Vision in Sayam Forage aktiv, um die Lebensbedingungen der Kinder und ihrer Familien dort zu verbessern. Dafür werden z.B. geschützte Räume für Kinder und Jugendliche eingerichtet. Die Kinder und Jugendlichen, die am meisten Hilfe brauchen, erhalten besondere Aufmerksamkeit. Neben regelmäßigen Gesprächen wird darauf geachtet, dass sie alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Einrichtungen der Fürsorge, die vor Ort angeboten werden, in Anspruch nehmen können.
Langsam aber sicher stabilisiert sich das Leben von Hindatou wieder. “Das lebendige Umfeld des Camps hat sich wirklich positiv auf Hindatous Entwicklung ausgewirkt. Sie geht jeden Tag zum Kinderschutz-Zentrum von World Vision. Dort hat sie eine Menge Freunde, mit denen sie spielen kann”, erzählt Rahana.
Heute ist Hindatou zwölf Jahre alt und blüht jeden Tag ein bisschen mehr auf. Sie ist ein hübsches Mädchen, das gerne lernt. Als Flüchtling in Niger hat sie gelernt, französisch zu sprechen. “Hindatou hat keine Albträume mehr. Wahrscheinlich werden meine Kinder ein besseres Leben haben – das macht mich zu einer sehr glücklichen Mutter”, sagt Rahana mit einem Lächeln.