Aus Not wurde Janvie einst von seiner Mutter bei seinen Großeltern zurückgelassen. Er verstand die Welt nicht mehr, doch er hatte den starken Willen, es im Leben zu etwas zu bringen. Heute bereist das ehemalige World Vision-Patenkind aus den Philippinen als Berater die Welt und setzt sich für Kinderrechte ein. Seit kurzem liegt dem 28-Jährigen ein Kind besonders am Herzen: sein eigenes Patenkind. An den Orten seiner Kindheit, die mit so vielen Erinnerungen behaftet sind, erzählte er uns seine Geschichte.
Damals lag das Haus seiner Großeltern isoliert in den Bergen. Infrastruktur und staatliche Dienste waren nicht vorhanden – Unternehmen, die sonst Jobs in der Gegend geschaffen hätten, siedelten sich deshalb nicht an. Und Janvies Mutter, die auf der Suche nach Arbeit gekommen war, beschloss wieder fortzugehen. Ohne Janvie.
„Ich dachte, meine Mutter wäre mit meinem Bruder nur zum Markt gegangen, um etwas einzukaufen“, erinnert sich Janvie, „Sie haben mir nicht gesagt, dass sie weggehen. Sie haben mich einfach zurückgelassen.” Der 7-Jährige war am Boden zerstört und fühlte sich im Stich gelassen.
In den folgenden Monaten versuchte Janvie, sich in seinem Leben mit seinen Großeltern einzurichten. Als einziges Kind im Haushalt hatte er eine lange Liste mit Pflichten. Im Sommer kletterte er auf einem steilen und rutschigen Weg den Berg hinunter zur einzigen Wasserquelle. „Wir standen nachts um ein Uhr auf, um Wasser zu holen“, erinnert er sich.
7 Kilometer bis zur Schule – und auch wieder zurück
Danach ging Janvie zur Schule. Das machte er gerne, aber er musste dafür jeden Tag sehr weit laufen. Er lernte früh lesen und war sehr gut in Englisch und Geschichte.
Zusätzlich half der Junge seinen Großeltern in der Landwirtschaft. In der Zeit des Anbaus arbeitete er mit seinem Großvater bis in die späten Abendstunden auf den Feldern. Waren Mais und Reis erntereif, saß er stundenlang auf einem Turm, um vor möglichen Dieben zu warnen.
Durch eine Dürre wurde die Situation sehr schwierig. Das Getreide der Großeltern vertrocknete und die Vorräte an Reis und Mais waren schnell aufgebraucht. Die kleine Familie entschied, in einer anderen Gegend auf einer Zuckerrohrplantage zu arbeiten – ohne Dach über dem Kopf.
Wir schlugen unser Lager im Schatten eines Mangobaumes auf.
In den nächsten sechs Monaten arbeitete Janvie in der Plantage – für zwei Dollar am Tag. Er erinnert sich: „Da waren so viele Kinder. Sie gingen alle nicht zur Schule, damit etwas zu essen auf den Tisch kam.“ Vielleicht ahnte er schon hier, dass Kinder nicht arbeiten, sondern lieber lernen sollten und der Grundstein für sein späteres Engagement für Kinderrechte war gelegt.
Für sich persönlich traf er in den langen Tagen auf der Plantage eine weitreichende Entscheidung: „Diese momentane Situation wird nicht mein Leben lang andauern.“
Nach der Rückkehr ins Haus der Großeltern erfuhr er von einem World Vision-Programm in der Gemeinde. Eine Geburtsurkunde hatte er nicht und so zeigte er sein Zeugnis aus der Schule, auf dem sein Name und Geburtsdatum vermerkt war – und wurde ein Patenkind.
Vom Kinderklub zum „Global Shaper“
Eine der World Vision-Maßnahmen war es, in Janvies Gemeinde einen Kinderklub aufzubauen, einen Ort, an dem die Kinder über ihre Rechte lernten und wie sie sich vor verschiedenen Gremien für ihre Interessen einsetzen können. Als die Kinder im Club einen Präsidenten wählen sollten, stellte sich Janvie selbst auf – zunächst, weil ihm der Titel gut gefiel. Er wurde gewählt und lernte nach und nach, seine Pflichten ernsthaft auszuüben. Er organisierte den Club und schulte die anderen Mitglieder, für alle Kinder der Gemeinde Aktionen anzubieten und sie weiterzuentwickeln.
Mit der Zeit gab es für Janvie neue Möglichkeiten, sich weiterzubilden: Er wurde Jugenddelegierter für die Kinder in seiner Region und sprach für sie vor Regierungsvertretern. Schließlich wurde er eingeladen, der nationalen Anti-Armut-Kommission beizutreten und dort das Komitee für Geschlechter- und Entwicklungsfragen zu leiten.
Janvie hat inzwischen an dem prestigeträchtigen Philippine Maritime Institute seinen Abschluss gemacht. Er ist auch Mitglied der „Global Shaper“, einem Netzwerk junger Menschen mit großem Potenzial für zukünftige Führungsrollen in der Gesellschaft, das vom Weltwirtschaftsforum gegründet wurde. Er hat an vielen Foren zu Gesundheit und Kinderrechten in den Philippinen teilgenommen und inzwischen sogar seine eigene soziale Organisation aufgebaut – die Youth First Initiative Philippines.
Das ehemalige Patenkind ist den World Vision-Mitarbeitern vor Ort heute noch sehr dankbar: „Sie haben mein Leben verändert. Durch sie habe ich diese brennende Leidenschaft entwickelt, Kinder zu unterstützen.“
Eine Patin für Janvie
Insbesondere zu einer Person fühlte Janvie sich hingezogen: seiner Patin, einer Lehrerin aus Kanada. Nur zweimal schrieb sie ihm während der Patenschaft, aber diese Briefe hatten eine große Wirkung auf den Jungen von damals:
Bitte denke immer daran: Du bist in meinem Herzen.
Tränen füllen seine Augen, als er sich an sie erinnert: „Wenn sie nicht für mich gebetet und mich als Patin unterstützt hätte… ich kann mir nicht vorstellen, wie ich heute leben würde.“ Er ist sich sicher, dass sich ohne seine Patin seit den Tagen auf der Zuckerrohrplantage nicht viel für ihn geändert hätte.
Vom Patenkind zum Paten
Heute stehen Janvie eine Reihe von beruflichen Möglichkeiten offen. Obwohl er so erfolgreich ist, ist es ihm wichtig, Kindern etwas zurückzugeben, sich für Kinderrechte einzusetzen.
Neben seiner Beratertätigkeit für staatliche und nicht-staatliche Organisationen ist er jetzt auch World Vision-Pate geworden. „Kinder, so wie ich früher eines war, brauchen jemanden, der sich dafür einsetzt, dass sie eine Zukunft haben“, sagt er. „Wenn du Pate bei World Vision bist, veränderst du nicht nur das Leben eines Kindes, sondern eine ganze Gemeinde.“
Inzwischen hat er sein Patenkind, die 11-jährige Marie Rose, getroffen. Lange hat er überlegt, welchen Rat er ihr mit auf den Weg geben will. Er hat sich hierfür entschieden: „Lass nicht zu, dass deine momentane Situation zu deinem ganzen Leben wird.“