Krieg gegen Kinder darf kein Alltag werden
Jedes Jahr im Februar erinnert World Vision zusammen mit vielen anderen an das Schicksal der Kinder, die in Kriegs- und Konfliktgebieten leben. Jedes sechstes Kind ist aktuell davon betroffen. Laut einem Bericht von Save the Children und Angaben von Unicef ist das Leben von immer mehr Kindern durch Verletzung, Tod, Vertreibung oder schwere Menschenrechtsverletzungen bedroht. Auf diesen Trend muss die Welt viel engagierter reagieren, beispielsweise durch Friedensförderung, und Maßnahmen zum Schutz der Kinder höhere Priorität geben. Krieg gegen Kinder darf kein Alltag werden!
Die Konflikte in Myanmar haben fast eine halbe Million Kinder, vor allem Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya, zur Flucht gezwungen. Zehntausende wurden dabei von ihren Familien getrennt, manche für immer. Unsere Mitarbeiter haben viele dieser staatenlosen, entwurzelten Kinder zu ihrer Situation befragt. Die bewegenden Rückmeldungen der Mädchen und Jungen veröffentlichen wir in den nächsten Tagen. Sie zeigen, dass das Leben in großen Flüchtlingslagern Kindern wenig Sicherheit bietet und kaum geeignet ist, ihnen über schreckliche Erlebnisse und Verluste hinweg zu helfen. Neben Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen sind daher Angebote für eine gute psychosoziale Betreuung, wie sie unsere kinderfreundlichen Räume darstellen, sehr wichtig.
„Unsere Eltern haben uns sehr geliebt.“
Es ist noch nicht lange her, als sich für die achtjährige * Kayes, die sechsjährige * Rasheda und die vierjährige * Roshni das Leben innerhalb weniger Minuten dramatisch veränderte. Die drei Geschwister lebten im Rakhine-Staat in Myanmar in einer behüteten Umgebung. Ihre Eltern kümmerten sich liebevoll um sie. Doch vor einigen Monaten wurden Vater und Mutter während der gewaltsamen Auseinandersetzungen getötet. Die Kinder konnten entkommen und flüchteten in ein Flüchtlingslager in Cox’s Bazar im Nachbarland Bangladesch. Mit Tränen in den Augen erinnert sich Kayes, die Älteste, an die schönen Stunden mit ihren Eltern. „Mutter hat mich mehr geliebt als meine anderen Geschwister“, erzählt sie. „Aber mein Vater liebte die Jüngste am meisten. Er nannte sie ‚Ma Moni‘ und mich ‚Kayes Baba‘. Vater hat für uns Fische gefangen und uns neue Kleider gekauft. Aber wir mussten alles zurücklassen und konnten nur noch unser Leben retten.“
Die Geschehnisse lassen Kayes und ihre Geschwister nicht mehr los. Immer wieder müssen sie an die fürchterlichen Szenen denken, nachts schrecken sie wegen der Albträume immer wieder aus dem Schlaf auf.
„Meine Mutter und mein Vater wurden getötet. Wir haben gesehen, wie Soldaten sie erschossen haben. Wir hatten große Angst und sind weggerannt“, beschreibt Kayes das Geschehene. „Ich vermisse Vater und Mutter so sehr….meine jüngste Schwester kann nicht aufhören zu weinen, wenn sie sich an unsere Mutter erinnert. Ich habe nachts manchmal Träume. Ich sehe dann, wie unser Vater Fische fängt und wie er im Fluss badet. Doch dann kommen die Soldaten und erschießen ihn. Ich habe Angst vor dem Militär.“
Ich möchte zurück nach Hause – hier gibt es keine Zukunft
Um die Waisenkinder kümmert sich jetzt die 35-jährige * Latifa. Sie selbst hat schon drei Söhne. „Sie sind die Kinder meiner Schwester. Wenn ich mich nicht um sie kümmere, wer dann?“, fragt sie. „Meine Schwester und ihre Familie lebten in einem zweistöckigen Haus aus Holz. Jetzt haben die Kinder niemanden außer mir, der sich um sie kümmert. Ich fühle mich schlecht.“
Auch Latifa wurde Zeugin der Gewalt in ihrer Dorfgemeinschaft. So weiß sie genau, was die Mädchen durchmachen. „Die Männer verbrannten alle Häuser in unserem Dorf und in den umliegenden Dörfern. Viele Mädchen wurden vergewaltigt und in das Militärlager gebracht. Als die Soldaten kamen, schossen sie mit ihren Gewehren. Sie töteten unser Ehemänner und folterten die älteren Mädchen und dann nahmen sie sie mit. Viele sind im Lager gestorben. Wie hält man es aus, wenn man vergewaltigt wurde? Wie kann man dann weiterleben?“ fragt Latifa. „In unserem Dorf gab es in jedem Haushalt junge Mädchen im Alter von zwölf bis 18 Jahren. Hier in Cox’s Bazar gibt es nicht viele in diesem Alter. Der Grund ist, dass viele von ihnen tot sind. Während unserer Flucht traf ich eine junge Frau. Sie war sieben Tage im Militärlager. Sie ist sehr schön. Als wir hier in Bangladesch ankamen, musste sie schnell ins Krankenhaus eingeliefert werden.“
Im Flüchtlingslager haben besonders Frauen und Kinder sehr unter der Enge, unzureichendem Schutz und mangelnder Sauberkeit zu leiden. „Der Platz, auf dem wir leben, ist zu klein und es gibt kein Bad und keine Toiletten. Sehr viele Menschen leben zu eng beieinander“, beschrieb Latifa die Situation vor einigen Monaten.
Inzwischen hat sich die Grundversorgung zwar verbessert - auch World Vision hat zum Beispiel Brunnen, Badestellen für Frauen und Toiletten gebaut und über 30.000 Menschen bei der Ausstattung ihrer Notunterkünfte unterstützt - aber es gibt immer noch zu wenig Platz auf dem Gelände und viele weitere Herausforderungen. Viele Unterkünfte und Brunnen sind zum Beispiel durch Erdrutsche gefährdet, sobald es regnet. Den geflüchteten Familien ist es außerdem nicht erlaubt, sich woanders im Land anzusiedeln oder eine Arbeit aufzunehmen.
Ihr früheres Leben erscheint Latifa angesichts dieser Nöte wie ein fernes Paradies: „Zuhause hatten wir alles, zwei Badezimmer und Kokospalmen um unser Haus. Wir hatten zwei Fischzuchtanlagen und ein schönes Haus aus Holz. Ich habe gehört, dass alle unsere Häuser zu Asche verbrannt wurden. Aber ich möchte nicht hierbleiben. Ich möchte wieder zurück nach Hause, wenn die Kämpfe aufgehört haben.“
Geburt im Zelt und Dankbarkeit für Kinderbetreuung
Das Baby der 22-jährigen Azida ist Ende November in einem von World Vision gespendeten Zelt geboren worden. Die junge Mutter erzählt, dass sie kaum Hoffnung für dieses Kind hatte, nachdem sie in großer Angst flüchten und mehr als einen Monat lang bei anderen Familien um Unterkunft bitten musste. „Ich war so erleichtert, als meine Kinder und ich dieses Zelt bekamen“, sagt sie. „Jetzt haben wir einen guten Platz zum Schlafen und sind sicher vor der Winterkälte“. Haresa, die älteste Schwester des Babies, geht gerne zum Spielen in eines der Kinderzentren von World Vision. Auch für diese Hilfe ist die junge Mutter sehr dankbar. Mehr als 2.000 Kinder können sich wie Haresa - auch dank der Spenden aus Deutschland - in den kinderfreundlichen Räumen entspannen. Das Spielen und Lernen in Gemeinschaft hilft ihnen, Stress und Ängste abzubauen. „Ich komme jeden Tag hierhin, weil es hier Spielzeug gibt und ich mit neuen Freundinnen spielen kann“, erzählt Haresa.