30.08.2022

Bildung unter Beschuss

Warum Schule im Krieg ein sicherer Ort bleiben muss

Autor: IBrecheis

Aktualisiert am 21. August 2023

Wenn es zu Kriegen und Konflikten kommt, bricht der gewohnte Alltag für die betroffenen Menschen zusammen. Besonders für Kinder ist das ein erschreckender Einschnitt in ihrem Leben. Sie sind nicht nur mit Leid und Schrecken konfrontiert. Auch Anker in ihrem Alltag, die Sicherheit und Geborgenheit geben, brechen weg. Wie etwa der tägliche Schulbesuch. Denn Schulen und Bildungseinrichtungen sind nicht nur ein Ort zum Lernen. Sie sind so viel mehr. Und genau deshalb ist es so wichtig, Schulen vor Angriffen im Krieg zu schützen.

Warum Schulen im Krieg oft kein sicherer Ort sind

Schulen und Bildungseinrichtungen bieten in urbanen, vor allem aber in ländlichen Regionen der Erde eine gute Infrastruktur. Es gibt meist einen Wasseranschluss, Toiletten, womöglich noch Elektrizität. Das macht Schulen und Bildungseinrichtungen in Kriegen und Konflikten zu einem interessanten strategischen Ort für das Militär. Denn dort lässt sich beispielsweise gut und schnell ein Militärstützpunkt errichten oder auch Munition lagern. 

Das macht Schulen wiederum zum Angriffsziel der jeweils gegnerischen Partei. Denn sobald eine Schule militärisch genutzt wird, verliert sie ihren Schutz als zu schonende zivile Infrastruktur. Der 2023 erschienene Jahres-Bericht der UN hält fest, dass es im Jahr 2022 1.163 Angriffe auf Schulen und Bildungseinrichtungen gab. Wie Schulen und andere Bildungseinrichtungen in Kriegen und Konflikten geschützt werden sollten, das ist in der sogenannten Safe Schools Declaration festgehalten.

Durch den Konflikt in Nordäthiopien zerstörtes Klassenzimmer in Ost-Amhara
Zerstörtes Lehrerzimmer in Ost-Amhara

Was genau ist die Safe Schools Declaration?

Die Safe Schools Declaration ist eine zwischenstaatliche Verpflichtungserklärung aus dem Jahr 2015. Bislang haben 118 Staaten dieser Welt die Deklaration unterzeichnet. Sie sieht vereinfacht formuliert Folgendes vor:

  • Schulen und Universitäten sollten von den Streitkräften nicht für militärische Zwecke genutzt werden. 
  • Das gilt auch für Schulen und Universitäten, die wegen der Gefahren eines bewaffneten Konflikts evakuiert oder geräumt wurden.
  • Schulen und Universitäten dürfen nicht als Maßnahme zerstört werden, um den gegnerischen Parteien die Möglichkeit zu nehmen, sie künftig zu nutzen.
  • Die militärische Nutzung einer Schule oder Universität durch die Streitkräfte von Parteien kann zwar dazu führen, dass sie angegriffen wird. Jedoch sollten sie dann eine Vorwarnung an die gegnerische Partei geben, dass ein Angriff bevorsteht.
  • Die Streitkräfte von Parteien sollten nicht dafür eingesetzt werden, die Sicherheit von Schulen und Universitäten zu sichern. Wenn möglich, sollte das ziviles Personal tun.
  • Diese Leitlinien sollten Eingang finden in militärische Handbücher und in Befehlsketten.

Hier finden Sie die Safe Schools Declaration. Obgleich sich so viele Staaten auf die Deklaration verpflichtet haben, bedeutet das leider nicht, dass Schulen und andere Bildungseinrichtungen vor Angriffen sicher sind.

Gründe, warum Schulen von Angriffen geschützt werden müssen

Bildungslücken vermeiden

Natürlich ist Schule ein Ort der Bildung. Wenn Schulen in Kriegen und Konflikten geschlossen werden, bedeutet das für die Kinder, dass ihnen Bildungslücken entstehen. Je nachdem, wie lange Schulen geschlossen bzw. alternative Lernangebote genutzt werden müssen, können diese Lücken so groß werden, dass sie nur schwer oder gar nicht mehr aufgeholt werden können. Während der Stoff der Grundschule notfalls noch von Eltern oder anderen Bezugspersonen übernommen werden kann, ist das für den Lernstoff weiterführender Schulen selten der Fall. 

Kinder und Jugendliche verlieren so den Anschluss und schlimmstenfalls tragen sie ihr ganzes Leben daran. Z. B. wenn sie durch Kriege und Konflikte gar keinen Schulabschluss erlangen können oder mit einem niedrigeren Schulabschluss von der Schule abgehen. Wie gravierend die Bildungslücken sind bzw. wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass diese wieder geschlossen werden, ist stark abhängig vom Bildungsstand eines Landes. Und hier gibt es weltweit sehr große Unterschiede. Damit es zu diesen schwerwiegenden Auswirkungen auf die Zukunft der Kinder und Jugendlichen gar nicht erst kommt, ist es so wichtig, dass Schulen auch in Kriegen und Konflikten geöffnet bleiben und besonders geschützt werden.
 

Versorgung mit Essen

In einigen Ländern dieser Erde ist die Schule der Ort für die Kinder, an dem sie zumindest ein warmes Essen am Tag erhalten können. Damit ist der Schulbesuch auch dafür verantwortlich, die Gesundheit der Kinder zu erhalten. Wenn sie der Schule fernbleiben, fällt diese Mahlzeit am Tag weg und sie müssen womöglich hungern. Das ist ein gewichtiger Grund, Schule auch im Krieg weiter zu ermöglichen.

Mittagessen an einer Schule im Südsudan

Schutz vor sexualisierter Gewalt und psychosoziale Betreuung

Wenn sich in Kriegen und Konflikten das gesellschaftliche Gefüge auflöst, ordnende Strukturen wegfallen, so steigt die Gefahr für Kinder, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden. Bleibt die Schule auch während Krieg und Konflikten geöffnet, können Lehrerinnen und Lehrer wichtige Vertrauenspersonen sein, denen gegenüber sich Kinder öffnen können, sollten sie solche Erfahrungen machen. Durch gezielte Schulungen in psychosozialer Betreuung können Lehrerinnen und Lehrer die Kinder unterstützen, das Erlebte zu verarbeiten.

Psychosoziale Betreuung und die Gemeinschaft mit anderen Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften ist auch insgesamt sehr wichtig für die mentale Gesundheit von Kindern, um Erlebnisse außerhalb der Schule während des Krieges zu verarbeiten.
 

Schutz vor Frühverheiratung & Kinderarbeit

In Kriegs- und Krisenkontexten werden Kinder aus der Schule genommen. Damit brechen sowohl die Betreuung als auch die Ernährungssicherheit weg. Das wiederum übt Druck auf die Familien aus und steigert ihre Not, ihre Kinder zu ernähren. Oft zwingt dies die Eltern, ihre Kinder arbeiten zu schicken, um auf diese Weise zum Familieneinkommen beizutragen. Auch die Frühverheiratung von Mädchen und auch von Jungen ist eine aus der Not geborene Lösung, um das Überleben der Familie zu sichern. Zumal das „Kontrollsystem“ der Schulpflicht in Kriegs- und Krisenkontexten entfällt. Bildung an Schulen gibt Kindern eine Perspektive. 
 

Kinderarbeit in einer Auto-Werkstatt in Bangladesch

Wie kann Bildung in Krisen und Kriegen gewährleistet werden?

Da Schulen und andere Bildungseinrichtungen einen so wichtigen Ankerpunkt für Kinder und Jugendliche darstellen, stellt sich die Frage, wie Bildungssysteme gegenüber Krisen und Konflikten widerstandsfähiger gemacht werden können. Spätestens seit der Covid-19 Pandemie haben wir auch hierzulande feststellen müssen, dass das deutsche Bildungssystem auf Krisen wenig bis gar nicht vorbereitet ist. Weitaus härter aber treffen solche Krisen und auch Konflikte diejenigen Länder, deren Bildungsstandard ohnehin niedrig ist. Viel bleibt noch zu tun:

  • Schulung von Lehrerinnen, Lehrern, Betreuern und Betreuerinnen in der psychosozialen Unterstützung der Schülerinnen und Schüler. Sie sollten erkennen können, wenn ein Kind traumatisiert ist und wissen, was in einem solchen Fall zu tun ist.
  • Bildung auch im Krisen- und Kriegsfall muss kontextabhängigen Bedürfnissen entsprechen. Dafür ist die Kooperation mit Schülern, Eltern, Lehrern, Gemeindemitgliedern, anderen NGOs vor Ort und dem nationalen Bildungsministerium essenziell.
  • Bildungsbezogenen Soforthilfemaßnahmen müssen auf bestehenden nationalen Plänen und langfristigen Zielen und Strategien fußen.
  • Diese muss präventive Maßnahmen beinhalten, um mögliche Katastrophenrisiken zu verringern, eine vorausschauende Vorbereitung sowie eine Reaktion auf Notfälle und Konflikte beinhalten.
  • Zwischen Humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit braucht es einen sektorübergreifende Bildungsansatz, um eine langfristige Krisenresistenz zu ermöglichen.
  • Wichtig hierfür ist die Finanzierung des Education Cannot Wait Fonds, der Fonds der Vereinten Nationen für Bildung in Notfällen und Langzeitkrisen.
  • Weiterbeschäftigung und ununterbrochene Bezahlung von qualifizierten Lehrern, Lehrerinnen, Erziehern und Erzieherinnen.
  • Zugang von Geflüchteten und intern vertriebener Kinder und Jugendlicher zu Schulen und Bildungssystemen des Aufnahmelandes.
  • High-Tech-, Low-Tech- und No-Tech-Fernunterrichtslösungen. Nach der Explosion in Beirut hat World Vision bspw. Mobile Data verteilt, um den Zugang für Kinder zu Fernlernangeboten über Tablets, Computer und Handys zu gewährleisten
  • Nicht-formale und gemeindebasierte Bildungsprogramme, wenn die Bildungssysteme in einem Notfall nicht greifen oder vorübergehend nicht funktionieren.
  • Beschleunigtes Lernen, Förderprogramme und nichtdiskriminierende Nachholklassen für Kinder und Jugendliche, die vorübergehend den Zugang zur Bildung verlieren oder in ihrem Lernprozess zurückbleiben.
  • Ununterbrochene Schul-Ernährungsprogramme.
  • Melde- und Überweisungsmechanismen für den Kinderschutz, insbesondere zur Eindämmung von sexualisierter Gewalt und zur Verhinderung von Frühschwangerschaften und Kinderheirat.
  • Leicht zugängliche und kultursensible psychosoziale Unterstützung.

Aktuell: Bildung während des Ukrainekriegs

Wohl kein Krieg war in den letzten Monaten so medial präsent wie der Krieg in der Ukraine. Er betrifft schätzungsweise 5,7 Millionen schulpflichtige ukrainische Kinder. Allein 2,8 Millionen Kinder sind Binnenvertriebene, die innerhalb der Ukraine Zuflucht gesucht haben. 3,3 Millionen Kinder benötigen pädagogische und schulische Betreuung. 43.000 ukrainische Lehrerinnen und Lehrer sind vor dem Krieg geflohen. 3.241 Bildungseinrichtungen in der Ukraine wurden beschädigt und 341 gänzlich zerstört.

All das stellt das ukrainische Bildungssystem vor enorme Herausforderungen. Viele ukrainische Lehrerinnen und Lehrer versuchen, den Unterricht gerade in der Sekundarstufe digital weiterzuführen. Oftmals auch von anderen Orten in der Ukraine selbst. Viele von ihnen sind jedoch laut des „Ukraine Education Needs Assessment Survey“ doppelt belastet, da sie sich ebenso in der Humanitären Hilfe engagieren und Frauen derzeit auch die Hauptlast der Care Arbeit trage. Überall dort, wo Familien das Land verlassen haben und Männer nicht ausreisen dürfen. 
 

Kristina im Klassenraum

Grundschulkinder konnten in vielen Fällen an den Orten, an die sie mit Angehörigen geflohen waren, an dortige Bildungseinrichtungen Anschluss finden. Für die Kindergartenkinder gab es ebenso ein Online-Angebot, das vom ukrainischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft bereitgestellt wurde. Ebenso einen eigenen TV-Kanal.

Vor allem Hunderttausende fehlende Tablets und Laptops werden in der genannten Umfrage für die Bildung während des Ukrainekriegs als große Hürde für Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte gleichermaßen benannt. Ebenso der Mangel an High-Speed Internet. Es mangelt auch an psychosozialer Unterstützung, um das Erlebte verarbeiten zu können sowohl für Schülerinnen, Schüler als auch für Lehrkräfte. Mehr Informationen über die Auswirkungen des Kriegs auf die mentale Gesundheit ukrainischer Kinder lesen Sie hier in unserem Bericht „No Peace of Mind".

Kinder haben ein Recht auf Bildung und Schutz in gleich welchem Land. Auch und gerade in Krisen und Konflikten. Es braucht resiliente Bildungssysteme, die darauf reagieren können. Die Fortführung qualitativer Bildung auch in Krisen muss oberste Priorität haben!
Kristina Kreuzer, politische Referentin Kinderrechte und Kinderschutz, World Vision Deutschland
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Bildung gibt Sicherheit

Raus aus der Sackgasse: Ohne Bildung hat ein Kind in Ländern des globalen Südens wenig Chancen, die Armut zu überwinden. Oft fehlt es schon an den Grundvoraussetzungen, damit Kinder in die Schule gehen und am Unterricht teilnehmen können. Hilf uns mit deiner Spende, damit wir Hefte, Stifte, Radierer und Schulbücher sowie Schultaschen und Schulkleidung kaufen können, die Mädchen und Jungen eine Perspektive für die Zukunft schenken!