Im Interview erzählt das ehemalige Patenkind Ester aus Tansania, wie die Patenschaft ihr Leben verändert hat. Außerdem berichtet sie darüber, warum sie heute Bergbau studiert und welche Zukunftsträume sie hat.
Ester, erzähle uns von deiner Kindheit. Wie bist du aufgewachsen?
Ester: Ich wurde am 4. Mai 1998 im Dorf Majengo in der Region Arusha in Tansania geboren. Ich stamme aus einer Familie mit sieben Kindern, drei Mädchen und vier Jungs. Meine Eltern sind einfache Landwirte und leben noch immer in meinem Geburtsort. Mein Vater arbeitet nebenbei noch als Pastor einer kleinen Gemeinde im bergigen Teil der Region, wo die Menschen noch sehr einfach leben.
Ich bin die Zweitälteste und die Einzige, die eine weiterführende Ausbildung gemacht hat. Alle meine Brüder und Schwestern haben die Grundschule abgeschlossen und können nur lesen und schreiben. Bis auf meinen kleinen Bruder haben bereits alle geheiratet und arbeiten teilweise als Bäuerinnen und Bauern. Die anderen gehen kleineren Jobs nach, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wie war die Situation für deine Familie und dein Umfeld in deiner Kindheit?
Wir hatten sehr wenig. Auch allen anderen in unserem Umfeld ging es so. Wenn wir mal drei Mahlzeiten am Tag hatten, war das Glück. Wir hatten keinen Strom, keinen Wasserzugang und es gab auch keine Krankenhäuser in der Gegend. Kurz gesagt, die Situation war alles andere als gut.
Als ich aufwuchs, verstanden die meisten Familien auch nicht, warum man die Bildung eines Mädchens fördern sollte. Fast alle Mädchen blieben zu Hause, halfen im Haushalt und wurden darauf vorbereitet, verheiratet zu werden. Ich hatte Glück, denn meine Eltern haben bemerkt, dass ich leidenschaftlich gerne in die Schule ging und haben mich nie vom Schulbesuch abgehalten.
Was waren damals die größten Schwierigkeiten für dich und deine Familie?
Zu den größten Herausforderungen zählte die Beschaffung von Wasser und einigen anderen Dingen, die meine Eltern brauchten, um uns Kinder zu versorgen. Wir mussten viele Kilometer mit Wassereimern auf dem Kopf oder mit Eseln laufen, um Wasser zu holen. Das war sehr mühsam, aber wir hatten keine andere Wahl. Meine Eltern konnten uns manchmal nicht mit den notwendigsten Dingen versorgen, etwa gute Mahlzeiten, richtige Kleidung, Schuhe usw.
Welche Erinnerungen hast du an die Arbeit von World Vision?
Soweit ich mich erinnere, kam World Vision zum ersten Mal in unser Dorf als ich noch sehr jung war. Wir haben einfache Dinge wie Seifen, Moskitonetze, Decken, Schulbücher, Stifte oder Speiseöl erhalten. Wir Kinder haben uns natürlich besonders über Süßigkeiten gefreut.
Darüber hinaus hat die Arbeit von World Vision dazu beigetragen, dass neue Klassenräume für unsere Schule gebaut und mit richtigen Tischen ausgestattet wurden. World Vision baute auch ein Gebäude für das Dorfkrankenhaus.
Wie hat sich die Patenschaft auf dich, deine Familie und dein Umfeld ausgewirkt?
Persönlich hat mir die Patenschaft vor allem in Bezug auf Bildung viel gebracht. Auch meine Familie ist dankbar, dass ich als Patenkind unterstützt wurde. Sie hätte mir nicht so sehr helfen können. Wäre ich kein Patenkind gewesen, wäre ich heute wahrscheinlich zu Hause und könnte nicht an der Universität studieren. Dadurch, dass ich unterstützt wurde, gibt es in meiner Familie zumindest eine Person, die eine weiterführende Bildung bekommen hat. Das hat natürlich auch positive Auswirkungen auf meine Familie.
Abgesehen davon habe ich durch die Patenschaft während meiner Schulzeit verschiedene Dinge kennengelernt. Immer wenn ich eine positive Idee oder eine nützliche Technologie kennengelernt habe, habe ich sie zu Hause eingeführt und so unseren Lebensstandard auf die eine oder andere Weise verbessert.
Neben der Unterstützung vieler Familien und der Verbesserung von Einrichtungen wie der Schule und dem Krankenhaus in unserem Dorf, wurden durch World Vision wichtige Bewusstseinsveränderungen in unserer Region erreicht. Das hat stark dazu beigetragen, die negativen Stigmatisierungen zu zerstören, die einst existierten. Ein Beispiel: Jedes Patenkind wurde bei der Hilfe gleichbehandelt, unabhängig vom Geschlecht. So wurde allen klar, dass Mädchen und Jungen den gleichen Wert haben.
Ein weiteres Beispiel: Meine Familie hat dank der Patenschaft neue Hoffnung geschöpft und setzt großes Vertrauen in mich. Da es Patenkinder wie mich in der Region gab, glauben die meisten Menschen jetzt, dass auch Mädchen viel besser in der Schule abschneiden können. Wenn ein Kind Interesse an und Ernsthaftigkeit in der Schule zeigt, werden sich die meisten Eltern jetzt darum bemühen, es ihr oder ihm zu ermöglichen. Das war früher anders, als es viele Einwände und Entmutigungen gab.
Was war deiner Meinung nach das Wichtigste, das du als Patenkind gelernt hast?
Die erste und wichtigste Lektion, die ich gelernt habe, ist, dass wir nicht für uns selbst leben, sondern auch für andere. Den Nächsten mit dem Wenigen, das man hat, zu helfen, ist so wertvoll, weil es ihr Leben komplett zum Positiven verändern kann. Ich bin dafür ein gutes Beispiel: Ich wäre vielleicht nicht dort, wo ich heute bin, wenn nicht World Vision gekommen wäre und ich meine Patinnen und meinen Paten kennengelernt hätte, die für mich übrigens Superheldinnen und -helden auf meinem Bildungsweg sind. Ich erinnere mich, dass ich als kleines Mädchen immer zu mir selbst gesagt habe: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von World Vision sind Engel, weil sie uns so freundlich helfen, obwohl wir ihnen nicht einmal eine Gegenleistung erbringen!“ So bin ich aufgewachsen und ich wünsche mir wirklich, eines Tages einigen Menschen so helfen zu können, wie mir geholfen wurde.
Eine weitere wichtige Lektion, die ich gelernt habe: Wenn man eine Chance bekommt, sollte man sie auch nutzen, um das Leben zum Positiven zu verändern. Es kann nämlich sein, dass so eine Chance nicht noch einmal kommt. World Vision gibt vielen Kindern eine tolle Möglichkeit, aber nur diejenigen, die ihr Potenzial voll ausschöpfen, können weit kommen. Ich hätte es nicht so weit gebracht, wenn ich die Chance, die World Vision mir gegeben hat, nicht effektiv genutzt hätte.
Warum hast du dich dafür entschieden, an der Universität Bergbau zu studieren?
Am liebsten hätte ich Luftfahrt studiert, weil ich davon geträumt habe, einmal selbst zu fliegen. Aber ich konnte mir das Studium nicht leisten und habe mich deshalb für meine zweite Wahl entschieden. Ich liebe alles, was mit Technik zu tun hat. Auch die chemischen Daten von Mineralien, ihre Verfügbarkeit und Gewinnung sowie Verarbeitung und Nutzung interessieren mich sehr. Die Bergbau-Industrie gehört außerdem zu denen, die in unserem Land am meisten wachsen.
Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
Wenn es gut läuft, möchte ich nach dem Bachelor noch einen Master-Abschluss machen. Danach will ich nicht nur in der Bergbau-Industrie arbeiten, sondern gerne auch Menschen in Not helfen. Außerdem möchte ich die Gesellschaft auf die Probleme von armen Familien aufmerksam machen. Ich träume auch davon, Mitglied im nationalen Energie- und Mineralienkomitee zu werden. Und wenn der Arbeitsmarkt nach der Universität auf die eine oder andere Weise hart wird, plane ich, verschiedene Projekte zu machen und selbstständig zu arbeiten, um meiner Familie und der Gesellschaft soweit wie möglich zu dienen.
Was würdest du anderen Patenkindern gerne darüber erzählen, wie sie ihre Träume verfolgen können?
Sie sollten niemals aufgeben und ihr Bestes bei allem geben, was sie tun. Die Patenschaft ist ein Geschenk von Gott, das ihnen eine größere Chance gibt, Träume wahr werden zu lassen und die Umstände der eigenen Familie und des Umfeldes zu verbessern. Ich bin meinen früheren Patinnen und meinem Paten so dankbar und schätze das Vertrauen, das sie in mich gesetzt haben. Ich werde weiterhin alles dafür tun, um positive Veränderungen für meine Familie sowie der gesamten Gesellschaft voranzutreiben.
Zum Schluss möchte ich noch World Vision und all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für die gute Arbeit danken, die sie bei der Förderung von Patenschaften und der Hilfe für Bedürftige leisten. Als ehemaliges Patenkind kann ich sagen, dass wir euch nichts geben können, um euch zu danken. Aber ich bete, dass Gott euch weiterhin segnen möge, um mehr Menschen zu helfen und dass euer Leben mit Freude, Frieden und Glück erfüllt sein möge.
Ein besonderer Dank gilt auch meinen ehemaligen Patinnen Juliane und Sophia sowie meinem Paten Jürgen. Ich bin so dankbar für eure Unterstützung und schätze das Vertrauen sehr, das ihr mir entgegengebracht habt. Ich weiß nicht genau, wie ich meine Dankbarkeit zeigen soll, aber ich danke euch so sehr, dass ihr mich von ganzem Herzen unterstützt habt. Ich verspreche, dass ich weiterhin positive Veränderungen in meiner Familie und in meinem Umfeld vorantreiben werde.