Sieg am Viktoriasee: Fischzucht lässt Frauen und Mädchen aufrecht gehen
Fotos: World Vision / Steffen Kugler
Cheryl isst gerne frischen Fisch, nicht nur freitags. Dass sie den besonders schmackhaften Tilapia - einen Buntbarsch - im eigenen Garten fangen oder aus Mamas Kühlbox herausnehmen kann, ist noch ungewöhnlich in Ostafrika.
Nacht für Nacht fahren tausende Fischer in Kenia, Tansania und Uganda auf langen hölzernen Booten auf den Viktoriasee hinaus. Dort locken sie mit Lichtern Fische in ihre Netze und verkaufen ihren Fang am nächsten Morgen an den Stränden. Viele Generationen ernährten sich vom Fischfang und den daran hängenden Jobs, doch im 21. Jahrhundert könnte Schluss damit sein. Auf jeden Fall ist Umdenken nötig.
Auch der größte See Afrikas kann nicht Millionen Menschen mit Fisch versorgen. Sein Ökosystem ist außerdem durch Umweltverschmutzung stark angegriffen, und der schrumpfende Fischbestand ist hart umkämpft - sogar mit Waffen verteidigen ihn manche.
In den Dörfern rund um den See leben viele Familien von weniger als zwei Euro am Tag, müssen aber für einen Tilapia meist mehr als zwei Euro auf dem Markt zahlen. Man greift daher meist zum billigeren Omena, getrockneten Kleinfischen. Doch das löst nicht das Problem der unsicher gewordenen Nahrungsgrundlage. Bei den Kindern ist Unterernährung weit verbreitet. Mädchen werden wegen der Armut früh aus der Schule genommen und bekommen daher kaum Chancen, ihr Leben nach eigenen Wünschen zu gestalten.
Rückgang des Fischreichtums hat Familien arm und Frauen zur Ware gemacht
Am Sindo Beach in Kenia, rund eineinhalb Stunden Autofahrt von der Stadt Homa Bay entfernt, kann man junge Frauen und Mädchen schon morgens um 7 Uhr antreffen. Viele warten mit Plastikschüsseln und Körben auf die Fischer
Sobald Fischerboote anlanden, sind sie schnell ringt von den Fischhändlerinnen. Alle scheinen zu wissen, bei wem sie am besten einkaufen können. Trotzdem sieht man in Blicken und Gesten die starke Konkurrenz unter ihnen. Den Extra-Preis, den viele für den Fisch zahlen müssen, sieht man jedoch nicht: erzwungener Sex. Auch er ist vermutlich eine Folge des Ungleichgewichts zwischen Fischangebot und Nachfrage. Da die Fischer leicht Abnehmer für ihre Ware finden und sich ihre Kundinnen aussuchen können, müssen die Händlerinnen ihren Körper anbieten.
15 Jahre lang hat auch Peres Anyango, die mit ihrer Familie in Sichtweite des Viktoriasees lebt, als Fischhändlerin am Strand gearbeitet und sich den Bedingungen gefügt. "Wenn ich Fisch bekommen wollte und nicht viel Geld hatte, musste ich mich mit einem Fischer anfreunden", erzählt sie. "Als "Freundschaft" umschreiben die meisten Frauen die sexuelle Ausbeutung, die in der Luo-Sprache "Jaboya" genannt wird. „Es ist ein schmutziges Geschäft, das in Verbindung mit Unwissenheit viel Unglück in die Familien dieser Gegend gebracht hat und an der Küste HIV verbreitet“, sagt Peres, die ihr Alter auf 55 Jahre schätzt. Sie fügt hinzu: "Ich hatte keine andere Wahl, denn meine Kinder brauchten Essen und Geld für die Schule."
Peres und ihr Mann Raphael wollen ein besseres Leben für ihre Kinder und Enkelkinder. Deshalb unterstützen sie ihren Sohn Justus bei einem Experiment: der Kombination aus Fischzucht und Gemüseanbau.
Justus Rowa hat sich von World Vision darin schulen lassen, wie man Süßwasserfische in großen Regenwasser-Auffangbecken züchten kann. Mit Unterstützung von Fachleuten und Freunden konnte er inzwischen drei Becken anlegen, in denen jeweils bis zu 1.000 Jungfische aufgezogen werden. Sein Gemüse baut er gleich daneben an. So kann es mit Hilfe einer Pumpe aus dem Fischteich bewässert und zugleich gedüngt werden. Das Wachstum von Algen, die den Fischen als Nahrung und Schutz dienen, kann umgekehrt durch Abfälle aus Gartenbau, Fisch- und Hühnerzucht angeregt werden. So entsteht ein Kreislauf.
"Diese Arbeit ist viel leichter und bringt mehr ein", berichtet Peres. Im Durchschnitt verdiene ihre Familie pro Becken etwas mehr als 1.000 Euro mit ausgewachsenen Tilapia, mit kleineren Fischen oder kleineren Ernten zwischen 700 und 800 Euro. Der Verdienst am Gemüse kommt dazu. "Meine Enkel können jetzt lachen, weil wir reichlich gesundes Essen auf dem Tisch haben", sagt sie lachend. Sie würde aber gern noch erleben, dass Frauen ihr eigener Chef werden. "Dann würde sich ganz viel verändern", glaubt sie.
Rose Atieno managt ihre integrierte Fischzucht schon selbst. "Ich habe mein Geschäft am Strand verlassen, als ich gesehen habe, wie gut sich die Fischzucht entwickelt", erzählt sie. Bereut hat sie es bisher nicht. "Mein Gemüse verkaufe ich an eine Sekundarschule - zu umgerechnet knapp 40 Euro im Monat." Einnahmen hat sie auch vom Fischverkauf und von dessen Erlösen. Sie hat Milchziegen gekauft. "Milch bringt mir rund 32 Euro im Monat ein, und ich halte außerdem Hühner. Ich bin jetzt eine glückliche Züchterin und rate vielen jungen Frauen, auch das würdelose und gefährliche Geschäft Sex gegen Fisch aufzugeben."
Potenziale der Fischzucht werden durch Patenschaftsprogramme verstärkt
Das 2016 gestartete Projekt zur Einführung der integrierten Fischzucht wird in drei Regionen des Suba-Distrikts durchgeführt und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) bis 2020 gefördert. 900 Haushalte sollen direkt damit erreicht werden. Zugleich wird die Infrastruktur für besser organisierten, faireren Handel mit Fisch und mit Zulieferern verbessert.
Das Projekt knüpft an Erfahrungen ähnlicher Initiativen (beispielsweise der GIZ) in anderen Regionen an, in denen die Potentiale schon analysiert wurden. Die Mitwirkenden arbeiten darüber hinaus aber auch bewusst mit den Netzwerken zusammen, die in den Patenschaftsprogrammen Lambwe, Magunga und Pala sowie in einem weiteren BMZ-Projekt entstanden sind.
"Gerade für die ärmsten Kinder und ihre Familien erhoffen wir uns gute Wechselwirkungen bzw. Synergien aus dieser Konstellation: Jugendförderung, ländliche Entwicklung und gezielte Ernährungssicherung ergänzen sich", erklärt unsere Ostafrika-Referentin Dr. Ursula Chavez Zander.
Jugend engagiert sich stark
Besonders angetan ist Ursula Chavez Zander von dem Engagement einiger Jugendgruppen, in denen auch Patenkinder und ehemalige Patenkinder aktiv mitarbeiten. Im November vergangenen Jahres besuchte sie zum Beispiel die Waringa-Gruppe. In ihr engagieren sich 16 junge Frauen und 14 junge Männer. Sie arbeiten schon länger als Selbsthilfe-Gruppe zusammen, da viele von ihnen sich allein keine höhere Bildung oder die Gründung eines Unternehmens leisten können. Durch das Patenschaftsprogramm erhielten die Jugendlichen bereits ein werteorientiertes Coaching, das sie zu kritischem Denken und zukunftsweisenden Entscheidungen befähigt. Nun haben sie durch das Projekt auch Fischzucht gestartet und züchten Hühner, sparen auch gemeinsam Kapital an. Mit den Einnahmen haben sie unter anderem drei Waisen eine handwerkliche Ausbildung finanziert.
"Diese Jugend kann Vorreiter für gesellschaftliche Veränderungen sein und der Ausbeutung ein Ende setzen", ist der kenianische Projektleiter, Philemon Bwanawoy, genauso überzeugt wie Ursula Chavez Zander.