Das Treffen in Ekukhanyeni
Unser kleiner Bus fuhr von der Hauptstraße ab und bog in eine unbefestigte Straße in das Projekt Ekukhanyeni. Je holperiger die Fahrt wurde und je länger sie andauerte, desto aufgeregter wurde die Stimmung unter den Paten, die endlich ihre Patenkinder treffen konnten. Als wir am Office von World Vision ankamen, standen sie bereits da und warteten mit ihren Familien und Freunden zusammen mindestens genauso aufgeregt auf uns.
Ich ließ mich vollkommen mitreißen von dieser ganz besonderen Atmosphäre mit den ersten schüchternen Worten, dem gegenseitigen Anschauen und Bestaunen, der immer stärker werdenden Neugier aufeinander. Es dauerte nicht lange, bis alle durcheinander redeten und das erste gemeinsame laute Lachen zu hören war.
Ich war in der Beobachterposition und dennoch mittendrin. Die Menschen aus Ekukhanyeni lassen dir gar keine andere Wahl, denn ihre Offenheit, ihre Wärme und ihre unbändige Lebensfreude vereinnahmen dich total. Ich konnte meine Tränen irgendwann nicht mehr zurückhalten. Es war so unglaublich bewegend zu erleben, wie die Menschen immer näher zusammenrückten und Vertrauen zueinander aufbauten. In Worte zu fassen, was dort passiert ist, ist nahezu unmöglich. Ich war bis oben hin zugeschüttet mit Glücksgefühlen und voller Dankbarkeit für die ganzen Begegnungen und konnte noch nicht ahnen, dass meine Emotionen bereits am nächsten Tag noch mehr auf den Kopf gestellt werden würden.
Die Frau aus dem Maisfeld
Wir bekamen am nächsten Morgen die Möglichkeit, für zwei andere Familien zu kochen. Für uns alle war es eine große Ehre, zu ihnen nach Hause eingeladen zu werden und ihren Alltag ein Stück weit miterleben zu dürfen. Wir teilten uns in zwei Gruppen auf und gingen zu den jeweils uns zugewiesenen Häusern.
Für unsere Gruppe ging es über einen schmalen Trampelpfad, der sich zwischen jungen, zartgrünen Maispflanzen und einem Süßkartoffelbeet schlängelte. Er führte zu einem kleinen Hof aus festgestampftem Lehm, aus dessen Mitte eine riesige Bananenstaude emporwuchs. Zur Linken befand sich ein gemauertes Häuschen von circa fünfzehn Quadratmetern Grundfläche, in dem sich der Schlafraum der fünfköpfigen Familie befand. Daneben stand eine weitere gemauerte, kleinere Hütte für Vorräte. Ein paar Hühner liefen umher, neben der Feuerstelle vor dem Haus warteten Kochtöpfe auf ihren Einsatz, zwei gefüllte Wasserkanister standen bereit. Nur die Frau des Hauses fehlte. Noch während wir spekulierten, ob sie ihre Einladung wohl zurückgezogen habe, kam sie aus ihrem Maisfeld auf uns zu, in ihren Händen saftige Kürbistriebe für das Essen, auf ihrem Rücken in einem Tuch ihre jüngste Tochter.
Ich kann bis heute nicht beschreiben, was genau in dem Moment mit mir passiert ist. Unsere Blicke trafen sich und ich habe von dieser ersten Sekunde an eine Bindung zu ihr verspürt, die mich total verwirrt hat. Sie war mir überhaupt nicht fremd. Dass ich vor ihr stand, fühlte sich richtig und total vertraut an. Die Stunden auf ihrem kleinen Hof gingen viel zu schnell vorbei und der Abschied von ihr fiel mir unglaublich schwer. Als ich als letzte unserer Gruppe das Grundstück verließ, drehte ich mich noch mal um und schoss ein Foto. Ich musste dieses Bild vor meinen Augen festhalten, musste es konservieren. Denn es fühlte sich an, als würde ich ein Zuhause verlassen, zu dem ich nie wieder zurückkehren kann.
Das Wiedersehen am Brunnen
Am Nachmittag schauten wir uns einen von World Vision gebauten Brunnen am Fuße eines Berges an, auf dessen Hängen vereinzelte Häuser und Hütten standen. Ich entdeckte in mehreren hundert Metern Entfernung die riesige Bananenstaude vom Vormittag und dachte mit einem unglaublich schönen Gefühl in Kopf und Herz an diese so verwirrend vertraute Begegnung mit unserer Gastgeberin zurück.
Als wir die Wasserstelle gerade wieder verlassen wollten, kam sie plötzlich. „Unsere“ Mama mit einigen Kindern und Wasserkanistern zum Brunnen. Sie lächelte. Ich hätte vor Freude gleichzeitig lachen und weinen können. Es war so verrückt. Nicht nur das Gefühl in mir, auch der Zufall des Wiedersehens. Ich ging auf sie zu und wir nahmen uns fest in den Arm. Ob zur erneuten Begrüßung oder zum endgültigen Abschied weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass mir spätestens in genau diesem Augenblick eines klar geworden ist: Sie und ich, wir gehören zusammen! Über alle Grenzen und jeden einzelnen der 9.000 Kilometer Entfernung zwischen Eswatini und Deutschland hinweg.
Ich wusste, dass ich sie und ihre Kinder begleiten will. Ihr ältester Sohn ist nun mein Patenkind.