Pionierin für Frauen-Rechte im Südsudan
Unter den Mitarbeitern von World Vision gibt es viele Frauen mit erstaunlichen Werdegängen. Frauen, die Pionierarbeit leisten und andere durch ihr Beispiel ermutigen. Sunday Aryemo ist eine von ihnen. Im Südsudan geboren, floh sie schon als junges Mädchen mit ihren Eltern vor dem Krieg und wuchs in einem Flüchtlingslager in Norduganda auf. Es gelang ihr dort trotz vieler Hindernisse eine Schule zu besuchen und danach sogar an einer Universität zu studieren. Als der Südsudan 2011 unabhängig wurde, kehrte sie in ihre Heimat zurück, um diese neu mit aufzubauen und den Hunger dort zu bekämpfen.
Heute leitet die 27-jährige in dem kanadischen World Vision-Projekt FEED rund 600 Frauen und ihre Familien dabei an, ihre Landwirtschaft zu modernisieren – manchmal unter Lebensgefahr, wie sie uns im Interview berichtet. Damit die Frauen nicht nur Arbeit mit der Nahrungsproduktion haben, sondern auch Gewinn daraus ziehen können, hat Sunday mit ihrem Team in den Dörfern Kampagnen für mehr Gleichberechtigung durchgeführt.
Zuerst was Persönliches. Was verrät dein Name über dich?
Ich bin an einem Sonntag geboren.
Und was machst du am liebsten sonntags?
Ich lese und koche sehr gerne, liebe es schwimmen zu gehen und bin gern unter Menschen.
Du bist als Kind offenbar gern zur Schule gegangen. Hatten Kinder aus dem Flüchtlingslager und speziell Mädchen nicht mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen?
Genau, das war der Fall. Ich konnte erst zur Schule gehen, als einige Kilometer vom Flüchtlingslager entfernt eine Schule eröffnet wurde. Meine Eltern, die mit Landwirtschaft und kleinen Jobs ein wenig Geld verdienten, schickten mich dorthin, weil sie – zu Recht -darin die einzige Chance für mich sahen Bildung zu bekommen. Die Schulklassen waren sehr voll, und manchmal konnte ich nicht zur Schule gehen, weil mir während der Periode zum Beispiel Binden fehlten.
Wie kam es dazu, dass du dich für einen Beruf in der Landwirtschaft entschieden hast?
Als ich ein kleines Mädchen war, etwa zwei oder drei Jahre alt, trug mich meine Mutter auf ihrem Rücken, wenn sie zum Garten ging. Ich habe es so sehr geliebt. Auch als Flüchtling in Uganda baute sie auf kleinen Flächen Erdnüsse, Hirse, Gemüse und Sesam an. Ich ging immer mit ihr, bis ich in die Schule kam. Dann habe ich sie während der Schulferien und an Wochenenden unterstützt. Ich wuchs damit auf, diese Arbeit zu lieben. Und wenn ich auf den Südsudan schaue, sehe ich überall Hunger. Ich möchte zu den Menschen gehören, die das ändern. Vielen Menschen fehlt das Wissen, wie man effektiv Landwirtschaft betreibt. Ich habe das gelernt, unter anderem im Studium, das durch die Regierung und die Weltbank unterstützt wurde, weil ich eine gute Schülerin war.
Heute kommen Mütter mit ihren Kindern zu dir. Du gibst ihnen durch das Projekt Saatgut und Werkzeug und viele Tipps, wie sie mehr ernten können. Man sieht auf den Bildern, wie gern du das tust. Wie reagieren sie?
Die Kinder und Jugendlichen sind meist sehr inspiriert. Ich höre auch Mütter zu ihren Mädchen sagen, dass sie versuchen sollen mir nach zu eifern und unser Land zu retten. Ich sage den jungen Leuten, dass trotz der Krise das Unmögliche möglich ist. Das motiviert sie.
Gab es keine Widerstände gegen deine Arbeit?
Doch ja. Am Anfang war es nicht so einfach, das Denken der Menschen zu ändern. Sie waren wirklich in die traditionelle Art der Landwirtschaft verliebt, die ihnen keine sehr guten Erträge bescherte. Viele waren anfangs nicht bereit, sich auf neue Methoden wie Reihenpflanzungen oder neue, früh reifende Sorten von Saatgut einzulassen. Als wir es im ersten Jahr mit wenigen Gruppen versuchten, war die Beteiligung gering, weil sie dem neuen System, das wir einführten, nicht trauten. Nachdem die Leute aber sahen, dass die Ernten der von uns unterstützten Gruppen größer ausfielen und früh reiften, begannen sie, sich dafür zu interessieren. Im zweiten Jahr kamen viele Leute, die unterstützt werden wollten, in der großen Mehrheit Frauen. Jetzt sind wir voll bei ihnen akzeptiert. Sie sagen, dass wir ihnen so viel erspart haben. Sie erleben Hunger nicht mehr wirklich.
Wirst du trotz der niedrigen gesellschaftlichen Stellung der Frauen dort als weibliche Führungskraft und Lehrerin akzeptiert?
Ja, ich habe in der Hinsicht kaum Probleme. Vielmehr freuen sich die meisten, glaube ich, dass eine junge Südsudanesin, die ihre Sprache spricht und trotz ihrer Bildung ‚down to earth‘ ist, ihnen hilft. Sie lieben meine Arbeit und ich versetze mich in ihre Lage. Es ist eine wunderbare Erfahrung für mich.
Im Südsudan zu arbeiten ist wegen der politischen Verhältnisse trotzdem sicher nicht leicht. Was waren besonders herausfordernde Erlebnisse für dich?
Im zweiten Jahr des Projekts hatten wir ein schockierendes Erlebnis. Als wir zu einer der Außenstellen gingen, sahen wir Frauen rennen. Wir waren alle überrascht und wir versuchten herauszufinden, was geschah. Sie erzählten uns dann, dass einige Leute mit Waffen sie bedroht und drei Kinder entführt hatten. Ein Kind schaffte es zu fliehen und zurück zu kommen. Aber die anderen beiden sind immer noch weg. Es war so beängstigend. Ich wusste nicht, wie wir diese Frauen am besten unterstützen können. Die Leute blieben über einen Monat lang ihren Farmen fern.Wenn sie nun auf die Felder gehen, gehen sie als Gruppe. Du kannst nicht alleine zu deiner Farm gehen.
Sehr erschreckt hat mich auch ein Erlebnis während einer Rückfahrt von der Arbeit. Eine Gruppe Soldaten hielt uns an und wollte das Fahrzeug besteigen. Wir haben ihnen gesagt, dass es uns nicht erlaubt ist, unbefugte Personen mitzunehmen, aber die Soldaten bedrängten uns weiter sie mitzunehmen. Der Fahrer fuhr dann los, und sie fingen an, auf uns zu schießen. Das sind nur einige der Herausforderungen, denen wir uns in Sachen Sicherheit stellen müssen.
Welche Veränderungen hast du im Projekkt in Bezug auf die Stärkung der Frauen gesehen?
In der jüngsten Umfrage, die wir mit einer Gender-Perspektive, durchgeführt haben, sind bedeutende Veränderungen deutlich geworden. Die Frauen sagten mir, dass es vor diesem Projekt für eine Frau nicht einfach war aufzustehen und in ihrer Gemeinde zu sprechen. Selbst wenn Sie unterdrückt wurden und Beschwerden hatten, war es schwierig für sie darüber zu sprechen. Jetzt können sie das Wort ergreifen, und ihre Ideen werden gehört.
Wie habt ihr das erreicht?
Jedes Mal, wenn wir uns mit der Gemeinschaft trafen, sprachen wir mit ihnen auch Gerechtigkeit und die Gleichstellung der Frau, sogar über geschlechtsspezifische Gewalt. Wir haben den Führern außerdem klar gemacht, dass es auch das Recht der Frauen ist Vermögen zu besitzen.
Ist Landbesitz Frauen dort nicht gestattet?
Ja. Eine Frau kann traditionell niemals Land besitzen, kein Vermögen haben, nicht einmal Vieh gehört ihr. Im Grunde sind Frauen nur für die Gemeinschaftsarbeit da – sie sind für die produktive Arbeit verantwortlich, arbeiten zu Hause, kümmern sich um die Kinder, suchen nach Nahrung und bereiten das Essen zu. Als Frau kannst du keine Führungsrolle in der Gemeinschaft haben. Eine Menge dieser Benachteiligungen existieren hier.
Ein Anfang zur Veränderung ist gemacht. Einige der Frauen aus unseren Gruppen haben jetzt Land, das ihnen gehört. Die Männer haben es ihnen gegeben, damit sie darauf Landwirtschaft betreiben können. Vermutlich hat sie der Erfolg der Frauen überzeugt.
Bist du stolz auf diese Frauen?
Ich bin stolz auf alle Gruppen, mit denen wir gearbeitet haben, und in den Gruppen haben sich vor allem Frauen engagiert, auch ältere. Sie haben Gutes geleistet. Ich bin wirklich stolz auf sie.
Sollte es weitere Projekte dieser Art geben?
Ja, das sicher, das wäre gut, denn es gibt noch viele Orte, in denen mit solchen Projekten viel erreicht werden könnte. Viele Orte auch, in denen Frauen noch kein Recht auf Landbesitz und Vermögen haben
Das Interview führten Mark Nonkes und Iris Manner.