Bildung trotz aller Hindernisse
„Mein Name ist Sayda. Ich bin Krankenschwester in meiner Gemeinde“, stellt sich die junge Frau lächelnd vor. Als sechsjähriges Mädchen wurde sie ein World Vision Patenkind. Heute ist sie 22 Jahre alt, hat ihren Universitätsabschluss in der Tasche und arbeitet in der Gesundheitsstation ihrer Gemeinde.
Die junge Mutter lebt in der Nähe von Potosí. Ihre Eltern Julian und Catherine sind Landwirte, die für den eigenen Bedarf produzieren. Sie selbst haben die Schule nur für ein paar Jahre besucht und sind sehr stolz auf die Bildung und den Erfolg ihrer Tochter. Beide wissen, dass Sayda und die anderen Kinder unter schwierigen Voraussetzungen lernen mussten. „Die Schule war richtig schlecht. Die Stühle waren aus Lehm, auf schmutzigem Boden“, erklärt Vater Julian. „Wir haben Saydita in die Schule geschickt, seit sie fünf Jahre alt war, obwohl unsere Familie kein Geld hatte. Die Schule war nicht weit, aber die Kosten für die Materialien und die Uniformen zu tragen, war für uns nicht leicht. Immer neue Dinge sollten wir in all der Zeit bezahlen und wir taten uns schwer, das Geld dafür zusammenzubekommen. Wir hatten mit schlechtem Wetter zu kämpfen. Das vernichtete unsere Ernte und wir hatten nichts zu essen. Aber Sayda hat ihren Abschluss gemacht“, erzählt er.
Sayda war nicht nur eine hervorragende Schülerin, sie war die Beste in ihrer Klasse. „Ich fand es immer toll, zu lesen und neue Dinge zu lernen. Das ist nicht einfach und wenn man kein Geld hat, ist es noch schwerer. Aber ich wollte Krankenschwester werden. Dieser Traum hat mir geholfen“, sagt Sayda.
Sie erinnert sich an zwei Dinge, die ihr Leben verändert haben. Zum einen an die Gruppentreffen mit World Vision, die sie wöchentlich besuchte und die ihr sehr viel Freude gemacht haben: „In unseren Sitzungen mit World Vision haben wir viel über Werte gelernt und wir wurden darin bestärkt, unsere Schüchternheit abzulegen. Aber das war schwer: Wir hatten Angst und konnten nicht frei sprechen. World Vision hat uns beigebracht, dass wir uns mitteilen müssen. Es ist wichtig, zu sagen, was wir denken. Wir sind genauso wichtig wie jede andere Person auch. Ich habe viel in diesen Sitzungen gelernt. Ohne diese Kurse wäre ich nicht so weit gekommen.“
Zum anderen war ihre Mutter oft krank: „Jedes Mal, wenn einer meiner Brüder auf die Welt kam, wurde meine Mutter krank – Monate lang oder sogar ein Jahr. Ich habe mich immer gefragt, warum. Deshalb habe ich meinen Abschluss als Krankenschwester gemacht. Ich habe auch erlebt, wie viele meiner Freunde krank wurden. Nur mit Kräutern und ohne Medikamente wurden sie nicht mehr richtig gesund. Damals gab es hier keine medizinische Versorgung.” Auch heute noch ist die Situation in Sachen Gesundheit in Saydas Gemeinde nicht die beste. Aber es hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Es gibt jetzt Gesundheitsstationen, wenn auch nur mäßig ausgestattet.
Sayda besucht die Familien in ihren bescheidenen Häusern. Ihr liegt besonders die Gesundheit der Kinder unter fünf Jahren und die der Mütter am Herzen. Sie werden von ihr geimpft und mit fehlenden Nährstoffen versorgt. Sie erzählt: „Ich habe verstanden, dass ich eine ausgebildete Fachkraft werden kann, wenn ich das nur will. Hier habe ich erlebt, dass kleine Kinder keine medizinische Versorgung haben. Damit ich sie gut versorgen kann, habe ich beschlossen, eine Ausbildung als Krankenschwester zu machen.“
In dieser Region Boliviens ist die Rate der Schulabbrecher unter Mädchen sehr hoch. Sayda schaffte es, ihren Abschluss an der Universität zu machen - trotz aller Hindernisse. Als Älteste ist sie ein Vorbild für ihre jüngeren Geschwister. “Meine Eltern regten sich auf und dachten, dass ich als Mutter meine Ausbildung nicht beenden würde. Aber mein Kind gab mir die Motivation weiterzumachen. Wenn jeder sein Bestes gibt und die Menschen das, was sie tun, gerne tun, dann kann man alles erreichen”, sagt Sayda.