Alhajj ist fünfzehn. Wie Hunderttausende andere Kinder musste er vor den Kämpfen der Terrorgruppe Boko Haram und militanten Truppen aus seiner Heimat Nigeria fliehen. Alhajj hat uns seine Geschichte erzählt:
„Ich erinnere mich an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. Mittlerweile sind aber schon zwei Jahre vergangen, seit ich mein Zuhause verloren habe. Ich komme an einem frühen Nachmittag von der Schule zurück. Die Sonne brennt vom Himmel. Ich gehe zum Fluss, um mich zu waschen, so wie ich es regelmäßig mache. Dort treffe ich auch andere Kinder aus meinem Dorf Damasak. Sie passen auf die Felder auf, damit die Tiere nicht unsere Ernte auffressen.
Wie aus dem Nichts ertönen Schüsse. Direkt danach erschüttern Bomben unser Dorf. Es ist unfassbar laut – viel lauter als damals, als unser Nachbardorf angegriffen wurde. Ich habe Angst, große Angst. Sofort springe ich in den Fluss, um so über die Grenze zu entkommen. Auch die anderen Kinder schwimmen mit mir. Die Strömung ist so stark, dass ich meine Hose verliere. Doch ich schaffe es, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Völlig erschöpft komme ich an. Ein paar Frauen sehen mich und geben mir etwas zum Anziehen. Sie geben mir auch zu essen und zeigen mir einen Platz, wo ich schlafen kann.
Ich mache mir große Sorgen um meine Familie. Ich weiß nicht, was mit meinen Eltern und Geschwistern passiert ist und ob sie auch flüchten konnten. Dann erhalte ich die Nachricht, dass mein Vater bei dem Angriff auf unser Dorf ums Leben gekommen ist. In diesem Moment fühle ich mich so, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen."
„Drei Tage nach meiner Flucht kommen Leute von der Regierung Nigers und sagen mir, dass sie meine Mutter und Geschwister gefunden haben. Ich bin so glücklich, dass ich sie wieder in die Arme schließen kann. Doch einer meiner Brüder fehlt, er ist im Dorf zurückgeblieben. In den folgenden Nächten habe ich Albträume, dass ihn jemand getötet hat. Nach einigen Tagen bangen Wartens kommt die Erlösung: Mein Bruder ist in Sicherheit. Ein alter Mann hat ihn gefunden und konnte mit ihm aus Damasak fliehen.
Mittlerweile leben wir seit zwei Jahren in einem Lager im Niger. Hier sind wir in Sicherheit. Doch das Leben in meiner Heimat war viel besser. In Damasak konnte ich zur Schule gehen und lernen. Wir waren selbstständig: Am Fluss haben wir Fische gefangen, außerdem konnten wir Hirse, Bohnen, Reis oder Erdnüsse anbauen. Im Lager essen wir seit Langem nur Reis und Bohnen. Zu Hause ist es auch nicht so heiß. Dort gibt es große Bäume, die Schatten spenden. Wenn heute Frieden einkehrt, würde ich sofort alles zusammenpacken und zurückgehen. Aber nach wie vor ist es in Damasak nicht sicher für uns. Wir hören die Einschläge der Bomben sogar bis hierher im Niger. Im Radio verfolgen wir die Geschehnisse ganz genau.
Eines mag ich im Lager aber: das Kinderschutz-Zentrum von World Vision. Jeden Tag kann ich dort mit meinen Freunden Zeit verbringen. Oft spielen wir Fußball oder Volleyball. Das macht großen Spaß und ich kann meine Sorgen kurz vergessen. Die Helfer im Zentrum zeigen uns auch andere Spiele und haben uns zum Beispiel erklärt, dass wir unsere Hände regelmäßig waschen müssen, um nicht krank zu werden. Um mir die Zeit zu vertreiben, habe ich außerdem begonnen, Telefonwertkarten zu verkaufen. Ich mache etwas Gewinn und kann so ein bisschen für meine Familie sorgen.
Das Handeln habe ich von meinem Vater gelernt. Wenn ich mehr Geld verdiene, kann ich vielleicht irgendwann wieder zur Schule gehen. Später möchte ich studieren. Mein Traum ist es, eines Tages Arzt zu werden.“